Ich kenne keinen anderen Bereich im Leben, in dem so viele Leute glauben, dass man gut in etwas sein kann, ohne sich darum zu kümmern. Dass man eine lebendige, gute Beziehung haben kann, ohne ihr Aufmerksamkeit zu widmen und, ja, auch zu üben. Liebe, scheinen die meisten Leute zu glauben, geht irgendwie von alleine.
Aber: wenn du etwas gut machen oder können willst, übst du es. Du bleibst dran. Du gehst jede Woche einmal zum Volleyball. Wenn du Klavier spielen lernen willst, wirst du Klavier spielen üben. Wenn du eine neue Sprache lernen willst, einen neuen Sport, einen Beruf – wenn du in irgendetwas im Leben gut sein willst: du übst. Du investierst jeden Tag ein bißchen Zeit, du machst dir Gedanken über die besten Methoden und Techniken, du liest vielleicht Artikel oder Bücher, hörst Podcasts. Du weißt, daß du nur gut in etwas wirst, wenn du übst.
Es ist egal, wie du es nennst: arbeiten, üben, aktives Engagement, investieren. Aber eigentlich geht es um Aufmerksamkeit schenken. Und es tun, es geht um das Gegenteil von ignorieren, übergehen, vertrocknen, links liegen lassen.
Liebesbeziehungen sind am Anfang so wunderbar, weil ihr einander Aufmerksamkeit schenkt. Ihr seid interessiert aneinander, neugierig, ihr möchtet alles voneinander wissen. Ihr seid höflich, freundlich, großzügig. Und dann wird es irgendwann schwierig.
Am schwierigsten wird es übrigens für diejenigen, die an "den einen/die eine" glauben, an Seelenverwandtschaft, an "meinen Menschen", an Soulmates.
Untersuchungen an Hunderten von Paaren haben gezeigt, dass die Erwartung, einen Seelenverwandten zu finden, tatsächlich zu dysfunktionalen Verhaltensmustern führt und die Wahrscheinlichkeit einer Trennung erhöht.
Warum? Weil Menschen, die an Seelenverwandte glauben, dazu neigen, eine sogenannte „Schicksalsmentalität“ zu haben: Dass man sich getroffen hat, war wie vorherbestimmt. Eine Art göttliche Bestimmung. Und dann, weil man ja füreinander bestimmt ist, braucht man auch nicht daran zu arbeiten. Seelenverwandte kennen einander nämlich in- und auswendig. Da braucht man nichts zu erklären, man versteht sich ohne Worte, man ist bessere Hälften oder einander Ergänzung. Irgendwie spirituell verbunden.
Aber wenn es nicht gut läuft, dann sagen diese Leute genau das Gegenteil: Es sollte nicht sein. Dadurch wird jede kleine Krise zum Beziehungskiller – aber halt, wieso gibt es überhaupt eine Krise? Vielleicht ist das doch nicht dein Seelenverwandter?
Die eher realistische Erwartung hingegen, dass Liebe Arbeit und Kompromisse erfordert, ist natürlich nicht besonders sexy. Es klingt nicht romantisch, dass eine gute Beziehung dauerhaft 'geübt' werden muss, dass es Schwierigkeiten geben wird und viele davon nicht lösbar sein werden, dass vieles vermasselt werden wird, dass es Phasen gibt, in denen man faul und müde ist, dass alles schwer wird, wenn Kinder dazukommen, dass alle Beziehungen Tiefs haben. Und dass man sich dann zusammennehmen muss, um in die Gänge zu kommen und sie zu reanimieren.
Und was hilft? Was Paare dauerhaft zufrieden sein lässt:
Sich einander durch alle persönlichen Erfahrungen hinweg zu unterstützen, ohne zu erwarten, dass der andere "perfekt" oder "alles" ist.
Keine Rechnungen aufzumachen: ich habe im letzten Jahr deine Eltern dreimal ausgehalten, jetzt wirst du ja wohl mal xyz für mich tun können?
Respekt, Neugierde, Teamgeist, die Fähigkeit zuzuhören, die Balance zwischen Distanz und Nähe ständig neu auszuhandeln.
Und Rituale.
Es gibt Paare, die dauerhafte Rituale haben, so etwas wie: jeden Mittwoch um fünf Uhr treffen wir uns in der Bar und trinken etwas. Oder: jeden Dienstag essen wir zusammen zu Mittag. Oder: jeden Monat verbringen wir eine Nacht woanders.
Rituale, die wirklich bedeuten: egal was sonst in unserem Leben passiert, wir haben eine feste Zeit, die uns gehört, in der wir uns gegenseitig Aufmerksamkeit widmen, was auch immer wir tun. Zeit, in der wir einander fragen können: Wie geht es dir eigentlich gerade? Was ist für dich im Moment wichtig? Was beschäftigt dich? Kann ich dich unterstützen? Was ist in der letzten Zeit so passiert?
Alle Beziehungsforschung ist sich einig: diejenigen, die das regelmäßig tun, die festgelegte Zeiten haben, die ihnen zeigen, dass sie einander wichtig sind und dass nicht alles andere zuerst kommt, sind wesentlich zufriedener und optimistischer.
Aber wenn man sich die meisten Beziehungen anschaut, kommt das Paar oft zuletzt. Ganz zuallerletzt.